Udo Kagl wurde 2015 "Professor des Jahres" in der Kategorie Naturwissenschaften/Medizin. Im Interview identifiziert er spannende Zukunftsfelder der Chemie und gibt Tipps zum Berufseinstieg.
Professor Kragl: Wie sehen die Berufsperspektiven von Absolventen im Bereich der Naturwissenschaften aus?
Kragl: Die Aussichten sind nach wie vor gut. Ich gebe meinen Studierenden aber auch immer den Rat, nicht die Schwerpunkte zu wählen, die die meisten Kommilitonen auch haben. Lieber erst einmal das auszuschließen, was einen gar nicht interessiert und sich dann an der Nachfrage des Arbeitsmarktes orientieren. Heutzutage ist es ja möglich, nach dem Bachelor-Abschluss sowohl die Uni als auch den Schwerpunkt zu wechseln. Gerade in der Mathematik etwa kennt man als Studienanfänger noch längst nicht alle Optionen. Die Mathematiker bei uns in Rostock beispielsweise kreieren Algorithmen für Schrifterkennung, was für die automatisierte Briefsortierung bei der Post hochinteressant ist.
Was sind in der Chemie besonders erfolgsversprechende Bereiche?
Das kann man nicht an einer Fachrichtung festmachen. Wenn wir beispielsweise auf die Regenerative Energien, die Energiespeicherung oder die Energieumwandlung blicken, dann sind ganz unterschiedliche Fachrichtungen daran beteiligt: Die Anorganische Chemie spielt bei den Speichermedien eine Rolle. Die Organische Chemie kommt vielleicht hinzu, um Farbstoffe in Solarzellen zu integrieren – beispielsweise für die optische Gestaltung von Hausfassaden. Grundsätzlich sollten die Studierenden daher immer auf eine ausgewogene Balance zwischen Spezialisierung und Generalisierung achten.
Also keine verbissene Nischen-Strategie verfolgen?
Nein. Es geht darum, einen Schwerpunkt zu besitzen, den nicht jeder hat. Das kann die technische Chemie sein. Das kann die Polymerchemie sein. Deutschland ist nicht mehr das Land der Koch-Chemiker. Heute sind vielmehr ganzheitliche Lösungen gefragt. Wenn wir beispielsweise Kohlendioxid in Substanzen des täglichen Bedarfs wie Matratzen einbauen wollen, dann sind Experten gefragt, die die unterschiedlichen Möglichkeiten bewerten können: Wie kann ich das CO2-Molekül auffangen? Wie kann ich es nutzbar machen und aktivieren? Und diese Experten brauchen auch ein Gespür dafür, ob der Markt ein Produkt akzeptieren wird, das vielleicht ein paar Euro mehr kostet, aber dafür das Klima schont.
Was muss ein Berufseinsteiger neben der Fachkompetenz mitbringen?
Er sollte ein sicheres Englisch sprechen. Denn die Unternehmen haben heute internationale Kunden, internationale Lieferanten und internationale Mitarbeiter. Da brauche ich gerade beim Englischsprechen eine gewisse Routine und darf keine Hemmschwellen haben. Naturwissenschaftler müssen außerdem solide Texte verfassen können, denn im Berufsalltag stehen immer wieder Berichte oder Anträge auf der Agenda. Die Teamfähigkeit komplettiert diesen Dreiklang der zusätzlichen Fähigkeiten: Ich muss mich in ein Team einbringen können, andere Meinungen und Charaktere akzeptieren können und mich gegebenenfalls auch mal etwas zurücknehmen, wenn es der Sache dient.
Und diese Skills gilt es auch in der Bewerbung zu betonen?
Sie haben eine ähnliche Bedeutung wie die fachliche Kompetenz. Und in der Bewerbung müssen natürlich die Basics stimmen. Ein Lebenslauf muss in sich schlüssig sein. Und ein Anschreiben ist natürlich genau auf die entsprechende Stellenausschreibung gemünzt – und sorgfältig auf Rechtschreibfehler geprüft. Da wird manchmal noch geschludert.
Wenn es dann mit der Bewerbung geklappt hat: inwiefern unterscheiden sich die Karrieren an der Hochschule von denen in der Wirtschaft?
Bei der eigentlichen Tätigkeit bestehen gar nicht so signifikante Unterschiede. Es geht eher um die Begleiterscheinungen. In der Wirtschaft oder auch bei einem staatlichen Untersuchungsamt habe ich in der Regel einen sicheren und langfristigen Job. In großen Konzernen wird man auch in puncto Karriereplanung fest an die Hand genommen. In der Hochschullandschaft steht man hingegen eher alleine da und muss sich selbst kümmern. Es gibt in diesem Sektor weniger Stellen und es hängt viel davon ab, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein.
Wie legt man als Naturwissenschaftler in der Wirtschaft eine steile Karriere hin?
Es gehört immer eine Portion Glück dazu, keine Frage. Aber ich muss mich über diverse Kanäle wie Xing etc. über Stellenausschreibungen informieren. Und dann muss ich bereit sein, etwas Neues, Anderes zu wagen und eine Gelegenheit zu ergreifen. Vielleicht gehe ich noch einmal in einen ganz anderen Bereich, wo ich dann aber nicht mehr nur Projektmitarbeiter bin sondern Projektleiter.
Wagen wir abschließend noch einen Blick in die Zukunft: Welche Chemie-Forschungsfelder haben besonderes Potential?
Im Bereich Wiederverwendung und Recycling wird einiges passieren. Von Kupfer etwa gewinnen wir bereits 99 Prozent wieder, aber bei anderen Stoffen sind es nur 30 oder 40 Prozent. Da ist also Luft nach oben und so kann man weiter Ressourcen einsparen. Daneben hat der Bereich der Werkstoff-Wissenschaften aus chemischer Sicht viel Potenzial: Wie kann man einen Werkstoff anders aufbauen und ihn so mit neuen Eigenschaften ausstatten? Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten – etwa einen Werkstoff nicht mehr kleben zu müssen, weil man ihn viel einfacher zusammenfügen kann. Hier geht es um eine beachtliche Tragweite. Und da ist noch einiges an Forschungsarbeit zu leisten.